Es ist mein sechsunddreißigstes Allerheiligen, es hat 21 Grad, die Luftfeuchte beträgt 63% – auch wenn ich nicht genau weiß, was das bedeutet. Ich denke nach, über letzte Ruhestätten, den Begriff des Friedens und den Wunsch darin ewig zu ruhen; darüber, dass der Tod eine Zumutung ist und Menschen Worte stets missverstehen.
So hat das Wort Friedhof zum Beispiel so gar nichts mit Frieden zu tun, sondern stammt vom Wort „frithof“ ab, was so viel bedeutet wie eingefriedeter Bereich um eine Kirche. Der Friedhof ist ein Euphemismus, weil der Mensch den Tod nicht erträgt.
Seit Jahren meide ich Friedhöfe, doch das war nicht immer so. Ich würde sogar sagen, dass ich den Tod lange Zeit auf vielen unverfänglichen Wegen suchte. Ich besuchte den Green-Wood-Cemetry in New York, war am jüdischen Friedhof in Prag, pilgerte zum Friedhof in Monmarte weiter zu Monparnasse, besuchte die Katakomben und das Pantheon, betrachtete Mumien in der Kapuzinergruft und umkleidete diese Erfahrungen mit zahlreichen Friedhofsbesuchen in der Provinz. Ich wollte so viele Orte des Todes wie möglich betreten, um dem Tod zu zeigen, dass ich es mit ihm aufnehme.
Ich war 11, als mein Vater an der Türschwelle unserer Wohnung starb, was ich ihm jahrelang übel nahm. Es war tragisch, würden sie sagen, vollkommen unerwartet, würden sie hinzufügen oder ergänzen: das arme Kind. Er röchelte noch in meinen Armen, würde ich sie aufklären oder verteidigend ergänzen: ich habe die stabile Seitenlage leider nicht zufriedenstellen hinbekommen. „Er sah zufrieden aus“, ergänzte meine Mutter das Todesprotokoll des Notarztes und ich frage mich, ob das Wort zufrieden auch von einfrieden abstammt.
Es ist mein sechsunddreißigstes Allerheiligen und ich bin lange nicht mehr auf Friedhöfen gewesen, weil der Tod mir noch immer eine Zumutung ist. Ich möchte Thanathos mit meiner Libido bezwingen, mich beherrschen lassen, weil ein Teil von mir stets im Wiederholen lebt.
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