Feiern, wenn alles fällt

Feiern ist/ein schwaches Verb.
So verlässlich wie sein Wortstamm ist auch die Tatsache, dass Menschen regelmäßig feiern, das Leben zelebrieren, es festlich begehen, um (wie der Moderator von Ö3 sagt,) lustig beisammen zu sein.
Ein Blick auf österreichische Feiertage zeigt, dass die Mehrheit religiösen Ursprungs ist: Der Himmelfahrtstag, Allerheiligen, Fronleichnam (DAS Hochfest der katholischen Kirche), Maria Himmelfahrt, der Tag der unbefleckten Empfängnis, alles rundum Ostern und – aus aktuellem Anlass – natürlich Weihnachten. Die Feiertagsruhe, so sieht es die Bibel vor, ist das sichtbare Zeichen dafür, daß der Mensch aus der Gnade Gottes und nicht aus Werken lebt.

Doch die Religion, so schreibt Marx, sei nur der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Opium des Volks, das nach Huxley alle Vorzüge des Christentums und des Alkohols ohne deren Nachteile, biete. Es gilt das Credo: Ein Gramm versuchen, ist besser als fluchen.
Doch entgegen dem entgrenzten rauschhaften Aufgehen, das in eine andere Welt entrückt, hat der katholische Gott feste Konturen. Unerwünscht ist ein Auflösen von Gesetzen, ein sich Ausdehnen über die Grenzen, ein Einfluten an Himmeln der Freiheit, in denen man schwebt und dabei nur mehr sein eignes System, seine eigne Welt und Sonne ist.
Sich selbst der Nächste zu sein, ist unchristlich, der katholische Vatergott ist unbarmherzig und, glaubt man dem Internet, hat er das Ende der Welt bereits eingeleitet.

Schwere Schicksalsschläge, Naturkatastrophen oder Krieg als Strafe Gottes zu deuten, sei jedoch falsch, sagt der Papst bei seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz und wir: ärgern uns. Unbarmherzig nimmt Franziskus uns den Gott wieder, den wir lieben, nach dem wir schreien, weil nur er unserer Selbstverantwortung die heiß ersehnte Entgrenzung gewährt und obendrein die Chance auf Buße, die unseren masochistischen Seelen Verzückung und Ekstase ermöglicht.
WIR
lassen
UNS
UNSERE FREIHEIT nicht
nehmen; WIR
sind: WIDERSTAND,
wir sind (das Volk)
gegen die LÜGEN, wir

nehmen es mit Jandl, weil er wie Jodeln klingt, und sagen:

Ja ich glaube daß gott
ein vogel ist und
ich sein mist.

Ich stelle also fest: gerade wenn die Welt zerbricht, ist feiern en vogue. Trotz Energiekrise brennt mir das Blinken des Weihnachtswunderlandes beim abendlichen Stadtspaziergang besinnliche Spuren in die Netzhaut, ein goldener Weihnachtsschimmer legt sich als Kintsugi zwischen mich und meine Abgründe, als ein Versuch schwierige Zeiten in Gold zu verwandeln.
ich: bin/selig/ ich bin/ ich bin mir/ die Nächste;

„wer sich der nächste sei / werfe auf sich / den ersten stein“ (Jandl)

kursive Textpassagen stammen aus:
Huxley, A.: Schöne Neue Welt und Die Pforten der Wahrnehmung.
Norbert, J.: der Spieler
Jandl E. : Letzte Gedichte, [München 2001]
Marx: Einletung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843)

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