Traumschatten eines Ninjas

Mein Traum hat lange Schatten, stellt der siebenjährige fest und fasst damit amüsiert zusammen, woran sich die analytische Psychologie seit Jahrzehnten abarbeitet. Detailliert beschreibt er mir, wie er auf dem Weg ins Traumland seinen Körper verlässt, schwerelos über sich selbst schwebt und dabei zwischen zwei Welten verweilt. Ab und an, fügt er hinzu, wenn er bei mir im Bett liege, strecke er die Hand nach mir aus, um wieder nach unten gezogen zu werden und fügt vorwurfsvoll hinzu: Ich rufe dich, aber du hörst mich ja nie.

Ich erinnere mich an die Jahre, in denen ich selbst nachts zwischen den Träumen und der Welt hing, meist im mühsamen Versuch aufzuwachen, mich in meinen Körper zurück zu zwängen. Ich entwickelte einen Trick: Ich versuchte mich selbst zu erschrecken, im Geiste ruckartig aus dem traumähnlichen Zustand zu reißen, in dem ich mich selbst sah, aber nicht sprechen oder mich bewegen konnte. Oft wurde der Zustand durch laute Geräusche begleitet – häufig durch ein dröhnendes Trommeln oder Klopfen; als wäre ich gefangen in einem Metallkörper, auf den Schlägel hämmern.

Vor zehn Jahren, als mein großer Sohn monatelang regelmäßig etwa 40 Minuten nach dem Einschlafen panisch brüllend im Bett saß, begegnete mir zum ersten Mal der Begriff Pavor Nocturnus (der seinen Häufigkeitsgipfel angeblich zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr hat). Dabei handelt es ich um einen Zustand wiederholter Episoden, in denen Betroffene heftig erregt aus dem Schlaf aufschrecken. Meist haben sie keine Erinnerung mehr an die Ereignisse aus ihrem Traum – sofern es diesen überhaupt gegeben hat.
Ähnlich der Parasomnie, wird dieser Zustand von Dr. Google als REM-Schlafverhaltensstörung bezeichnet, bei der es zu einem harmlosen Ausagieren von Trauminhalten kommt.
Wie freundlich das klingt, denke ich, wenn Mediziner dir deine Todesängste erklären und stelle mir vor, wie ich – eingeklemmt zwischen hier und einer Anderswelt – mit einem Puls >200 versuche, bedrohenden Schlägeln zu entkommen und so laut zu brüllen, dass ich mich selbst höre – oder: mich jemand in mich zurückholt.

Ich bin – so denke ich heute mit einem beinahe liebevollen Blick auf mich selbst – Meisterin der Zwischenzustände und froh, derartige zwischenzeitlich nicht zu erleben. Was braucht es, frage ich mich, um sich nicht so in sich selbst zu verlaufen, dass die eigenen Fluchtwege in ein Bodenloses führen?
Wenn ich in die neugierigen Augen des Zwergennijas blicke, der über seinen Schatten springt, scheint mir die Antwort darauf zum Greifen nahe.




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