Die ganze Welt erscheint mir wie ein einziger großer Zirkus mit seiner Unzahl von einander immer wieder ausgleichenden und ergänzenden Menschen und Tieren und Apparaten, schreibt Kafka im Hungerkünstler und lässt seinen Protagonisten im Käfig an schönen Tagen ins Freie tragen. Auch Rilke greift das Motiv der Freiheitsbeschränkung in seinem Panther auf. Es ward dem Tier, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Sowohl der Hungerkünstler als auch der Panther wurden von Literaturwissenschafterinnen bereits zu Tode gedeutet. Der Panther kommt nicht mehr umhin, als sinnbildliche Darstellung des leidenden Lebewesens in Gefangenschaft herzuhalten. Das Stilmittel der Personifikation erlaubt es den Leserinnen, sich mit dem Tier zu identifizieren und der Symbolismus der Verszeilen bietet – in Kombination mit der geschilderte Situation, in der eine Handlung ausgespart wird – einen Nährboden für Mehrdeutigkeiten.
Der Hungerkünstler steckt freiwillig hinter Gittern und seine Geschichte wird häufig als Parabel für DAS Künstlerdasein par excellence herangezogen. Der ehrgeizige, geradezu süchtige Künstler hungert jedoch nicht nur um seiner selbst willen, sondern er will, dass die Menschen ihm bewundernd bei seiner qualvollen Leistung zusehen. Dafür geht er bis an und über die Grenzen seines Lebens.
Für mich lassen sich beide Texte aber nicht nur aus der Perspektive der Protagonisten deuten, sondern sie leben vielmehr von der Vorstellung, dass es ein Außen gibt, das hinsieht, sie leben vom Blick des Anderen.
Der Blick des Anderen ist eine Ungeheuerlichkeit, der wir nicht entgehen können. Im Blick des Anderen, schreibt Sartre, enthüllt sich, was ich an mir selbst nicht fassen kann, was mich bedroht. Ich werde zu einem Objekt, das vom anderen erkannt wird, das ich selbst so nie sehen kann. (SN, S. 471) Die Erfahrung meines Selbst für Andere liegt jenseits meiner Erkenntnismöglichkeiten. So bin ich also dieses Ich, das ein Anderer erkennt und dies obendrein in einer Welt, die der Andere mir entfremdet. Subjekte verheddern und verfehlen sich gegenseitig in den Fängen ihrer Betrachtungen, stets begleitet vom Versuch ‚man selbst‘ zu sein, sein Sein (im fremden Blick mit) zu bestätigen. Scheitern ist ewiges Ergebnis. Unsere Freiheit besteht darin, in jedem Blick auf sich selbst wieder neu definierbar zu sein.
Ist unsere große Angst das Bewusstsein darüber, dass wir „nicht anders zu können als frei zu sein“ (SN 760) und doch „nie das sehen, was wir sehen wollen? (vgl. Lacan 1987: 97). Leben ist die unendliche Revision der eigenen Geschichte, denke ich. Doch was, wenn das Leben vollendet ist und der Blick des Anderen auf dich das einzige ist, was bleibt?
Auch in seiner geschlossenen Gesellschaft befasst sich Sartre mit dem Anderen als der Hölle. Im Einakter geschlossene Türen schreibt Sartre über drei Figuren, die in einem Raum eingesperrt sind; Alle drei sind verstorben. Rasch wird ihnen klar, dass sie in der Hölle gelandet sind und sie sind fürs Erste erleichtert darüber, kein Fegefeuer oder etwaige Folterwerkzeuge vorzufinden. Bald aber werden ihnen die Umstände deutlich. Es gibt weder Tag noch Nacht, sie haben auch keine Augenlider mehr und vor allem: Sie können einander nicht entkommen. Sie sehen einander als Menschen mit Vergangenheit und ohne Zukunft. Dies bedeutet, der Einengung der Essenz durch den Blick des Anderen nicht mehr zu entkommen. Es gibt keine rückwirkende Änderung des Sinnzusammenhanges, kein sich neu denken und erfinden. Indem der Tod vom Ende des Lebens aus bereits erhellt hat, was ist, legt er den Menschen fest und nimmt ihm seine Freiheit.
Ist die Realität, wie Sartre schreibt „eine nutzlose Passion“ (SN S.159-160), frage ich mich? Ich sehe mich theatralisch mit Lacan von der Bühne des Lebens rufen „NIE, NIEEE“, rufe ich „erblickst DU mich da, wo ich DICH sehe“ (Lacan 1987: 97 ) Ich stelle mir vor, wie Blicke als Geraden Richtung Unendlichkeit aneinander vorbeilaufen, sich stets sehen, doch einander nie berühren.
Bleibe ich in deinem Blick immer nur ein Verweis auf dich?
»I was looking back to see,
if you were looking
back to me,
to see me looking
back at you.«
singt Massive Attack, wir sind Knechte, sagt Sarte, wenn wir anderen erscheinen und
ich sage, zumindest ich
werde gerne
benutzt.
Sartre, Jean-Paul (1994): »Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Massive Attack (1991): Blue Lines, London: 4 Circa. Lacan, Jacques (1987): Das Seminar XI. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
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